Mitscherlich, Alexander: Die Unfähigkeit zu trauern

Grundlagen kollektiven Verhaltens | Klassiker der Psychoanalyse
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"Die Unfähigkeit zu trauern" - Ein Schlüsselwerk der deutschen Nachkriegszeit

Die Unfähigkeit zu trauern von Alexander und Margarete Mitscherlich zählt zu den zentralen Werken der deutschen Nachkriegszeit. Das Buch hat sowohl den allgemeinen Sprachgebrauch als auch das gesellschaftliche Bewusstsein nachhaltig geprägt.

Die Autoren analysieren das kollektive Verhalten der Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg und diagnostizieren eine fehlende Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit. Sie stellen die Frage, warum die notwendige Trauerarbeit für die Millionen Opfer des Dritten Reiches ausblieb, und liefern eine präzise Antwort.

Durch die Verbindung von historischer Analyse und psychoanalytischen Ansätzen beschreiben die Mitscherlichs ein spezifisches Verhaltensmuster: die Umwandlung von Schuld, Angst und Scham in Selbstmitleid. Sie zeigen zudem, wie Idealisierung und Aggression in diesem Prozess eine zentrale Rolle spielen.

Dieses Werk bietet eine tiefgehende Analyse der deutschen Nachkriegsgesellschaft und bleibt bis heute ein bedeutender Beitrag zur Aufarbeitung der Vergangenheit.

»Es wäre ein Gewinn, wenn das Interesse an dem Thema auch Leser, die sich bisher mit Psychoanalyse überhaupt nicht beschäftigt haben, dazu führen würde, einen ersten Schritt in diese in Deutschland lange Zeit unterdrückte Gedanken- und Erkenntniswelt zu machen. « Margret Boveri

Die Studie beginnt mit der Feststellung, dass die Mehrzahl der Deutschen nach 1945 die Geschehnisse der NS-Zeit aus dem sog. kollektiven Bewusstsein eliminiert habe. Die Nation habe in der Person Hitlers über ein geliebtes Führungsobjekt verfügt, das sie dann verlor. Der >>Führer<< habe für den überwiegenden Teil der Deutschen die Funktion des Ich-Ideals gehabt; demnach seien sie auch bereit gewesen, Hitler in blinder Ergebenheit Gefolgschaft zu leisten, Verbrechen zu begehen und sogar für ihn zu sterben. Nach dem Tod Hitlers hätten die Deutschen demzufolge in tiefe Trauer verfallen müssen. Dies sei jedoch nicht geschehen; vielmehr trat eine gewisse Erleichterung ein, und der anstehende Wiederaufbau nahm alle Kräfte in Anspruch. Das verhältnismäßig rasch folgende >>Wirtschaftswunder<< führte zu einem kollektiven Überlegenheits- und Hochgefühl, das die Zeit des Nationalsozialismus mit seinen Verbrechen ausblendete. Der Prozess des Vergessens, der Verdrängung und Tabuisierung wurde immer mächtiger, was dazu führte, dass die nationalsozialistische Vergangenheit kaum aufgearbeitet worden sei. In vielen Bereichen des öffentlichen Lebens habe es 1945 daher keine >>Stunde Null<< gegeben. In ungebrochener Kontinuität seien 1949 Personen und Strukturen von der neu gegründeten Bundesrepublik, die bald zu weltweiter wirtschaftlicher Geltung gelangen sollte, übernommen worden. Die Deutschen hätten gelebt, als habe es Hitler und die NS-Zeit nie gegeben. Alexander und Margarete Mitscherlich treten für eine kollektive Aufarbeitung der Geschehnisse im Dritten Reich ein, damit sich Derartiges nicht wiederhole. Sie fordern eine Bewältigung der Vergangenheit in analytischer Reflexion. Die Autoren befassen sich also mit kollektivpsychologischen Problemen, die sie gemäß der Lehre der Psychoanalyse, bei der es sich aber hauptsächlich um eine Individualpsychologie handelt, lösen wollen; sie legen als Analytiker gewissermaßen die gesamte deutsche Nation auf die Couch.

ISBN: 978-3-492-20168-1
GTIN: 9783492201681

Über den Autor Mitscherlich, Alexander

Alexander Mitscherlich, geboren 1908 in München, gestorben 1982 in Frankfurt/Main, war Psychoanalytiker und Publizist. Er gilt als einer der bedeutendsten Psychoanalytiker und Publizisten der Nachkriegszeit. Vor allem wegen seiner individualpsychologisch fundierten Gesellschaftskritik, in der er sich mit der NS-Zeit auseinander setzte, stieß er bei vielen Intellektuellen, insbesondere der 1968er Studentengeneration, auf große Zustimmung. Nach einem geisteswissenschaftlichen Studium und Verhaftungen durch die Nationalsozialisten wegen politischer Betätigung studierte Mitscherlich ab 1933 Medizin in Zürich und später in Heidelberg. 1946/47 nahm er als Beobachter und Berichterstatter am Nürnberger Prozess gegen führende NS-Ärzte teil (Medizin ohne Menschlichkeit). 1949 gründete er an der Universität Heidelberg die Abteilung für psychosomatische Medizin, die er selbst leitete. 1952 wurde er in Heidelberg zum Professor ernannt. Ab 1960 war Mitscherlich Leiter des Sigmund-Freud-Instituts in Frankfurt/Main, einer Lehr- und Forschungseinrichtung für Psychoanalyse. 1966 wurde er an der Frankfurter Universität zum Lehrstuhlinhaber für Psychologie berufen. 1969 erhielt er den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Mitscherlich war bestrebt, psychoanalytische Methoden und Erkenntnisse auf gesellschaftliche Erscheinungen anzuwenden. Seine Kritik an wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Phänomenen richtete sich an psychologischen Gegebenheiten aus. In der Medizin trat Mitscherlich dafür ein, das Krankheitsgeschehen als einen vielschichtigen psychosomatischen Vorgang aufzufassen.Margarete Mitscherlich-Nielsen, 1917-2012, in Graasten/Dänemark geboren, Ärztin und Psychoanalytikerin, wissenschaftliches Mitglied des Siegmund-Freud-Instituts und verschiedener internationaler Arbeitskreise.

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